Mannheim/Rhein-Neckar, 27. April 2016. (red/ms) Mannheim ist eine von weltweit elf “UNESCO Cities of Music” – doch am kommenden Samstag schließt mit dem “Musik Weng” der letzte große Fachhandel für Instrumente und Musikerbedarf in der Innenstadt. Die Branche stirbt aus – und mit ihr verschwinden Kultur, Leidenschaft und wahre Wertschätzung.
Von Minh Schredle, Fotos: Naemi Hencke
Zaghaft erklingen die leeren Saiten, der Spieler stimmt sie sorgsam nach Gehör. Er nimmt sich Zeit. Die Töne bleiben leise wie ein Wispern.
Aber sie werden kraftvoller. Und schließlich formen sie eine ergreifende, melancholische Melodie.
Einen kurzen Augenblick kehrt Stille ein. Die wenigen Gäste lauschen andächtig, lassen sich aus ihrem Treiben reißen und verweilen.
Wertschätzung.
Doch schon schwindet die Magie des Moments. Und, als hätte es sie nie gegeben, wird die Ruhe wieder durch den Trubel des Alltäglichen ausgefüllt.
Ungestüm kommt eine junge Frau zur Ladentür hereingestolpert. Die Klingel erschallt – die Gitarre verstummt.
Es ist eine denkwürdige Szene: Eilig hastet die Frau durch das Notenantiquariat, greift grob und unwirsch einige Hefte heraus und geht zur Kasse, ohne auch nur darin geblättert zu haben.
Sandor Weng lächelt freundlich. Die Anstrengung merkt man ihm dennoch an. Mit großer Geduld muss er seiner Kundin erklären, weswegen er auf Noten aus dem Antiquariat keine Rückgabegarantie geben kann – und warum er nicht bereit ist, die Kaufpreise noch weiter zu reduzieren.
Am 30. April 2016 wird das “Musikhaus Weng” zum letzten Mal öffnen – nach mehr als 40 Jahren im Geschäft. Mannheim, eine von weltweit elf “UNESCO Cities of Music”, verliert damit ihr letztes großes Fachgeschäft für Instrumente und Musikerbedarf.
Es ist viel Herzblut in den Laden geflossen,
sagt Sandor Weng, der das Geschäft 2007 von seinem Vater Andreas, einem Klavierbaumeister, übernommen hat. Dieser hatte 1975 eine Werkstatt in Neckarau gegründet; wenig später begann er, dort Flügel und Klaviere renommierter Marken zu vertreiben. 1986 zog “Musik Weng” an seinen Standort in D7. 30 Jahre später endet hier die Geschichte des Unternehmens.
Immer mehr Schlussakkorde
Es habe sich lange abgezeichnet, sagt Sandor Weng. Die endgültige Einsicht, dass es so nicht weiter gehen könne, habe er aber erst vor wenigen Wochen gehabt:
Der Einzelhandel hat in dieser Branche keine Zukunft mehr.
Die goldenen Zeiten des Musikhauses gehören ohnehin der Vergangenheit an: Zwischenzeitlich habe er bis zu zehn Mitarbeiter beschäftigen können, erzählt er.
In diesen letzten Tagen sind ihm noch eine Hilfskraft verblieben – und ein treuer Angestellter, den er vor sieben Jahren zum Einzelhandelskaufmann ausgebildet hat.
Arbeit und Leidenschaft
Tobias Kempf hatte zunächst nur ein wenig Zeit überbrücken wollen, als er das erste Mal intensiv mit Sandor ins Gespräch geriet. Heute erzählt er:
Ich hatte an diesem Tag eigentlich ein Vorstellungsgespräch in einem Restaurant und wollte noch Koch werden.
Vorher habe er allerdings noch eine gute Stunde Freizeit zur Verfügung gehabt – und wollte diese seiner Leidenschaft widmen: Der Musik.
Also schaute er sich im “Weng” nach Instrumenten um und ließ sich von Sandor beraten:
Aus dem Beratungsgespräch wurde dann schnell ein Einstellungsgespräch. So wurde ich zum ersten Azubi hier,
erzählt Tobias. Weder er noch Sandor Weng wissen, wie es für sie beruflich weitergehen wird. Eine Zukunft im Musik-Fachhandel kommt jedenfalls für keinen der beiden in Betracht.
Ungleiche Ausgangslagen
Je größere Stückzahlen ein Händler von einem Hersteller erwerbe, desto größer falle der Mengenrabatt aus, führt Herr Weng aus. Es gleiche einem Teufelskreis: Wer mehr einkaufen könne, könne demnach zu günstigeren Stückpreisen wieder verkaufen. Dadurch steige der Druck auf kleinere Konkurrenten, denen ohnehin schon weniger Mittel für Investitionen zur Verfügung stehen:
Teilweise können Großbetriebe ihre Produkte zu einem niedrigeren Preis anbieten, als ich sie einkaufe.
Dadurch sei allerdings nicht nur der Musikhandel betroffen, es handle sich um ein branchenübergreifendes Problem. Die Politik müsse dringend etwas unternehmen, wenn klein- und mittelständige Handelsunternehmen irgendwie konkurrenzfähig bleiben sollen.
“Das Aussterben des Fachhandels hat sich schon vor Jahrzehnten angedeutet”, sagt Herr Weng: “Durch das Internet und Online-Shops hat sich die Lage für uns drastisch zugespitzt.” Ausschlaggebend für die Geschäftsaufgabe sei aber letztendlich ein anderer Aspekt gewesen:
Für viele Kaufentscheidungen ist inzwischen das einzige Kriterium, wie billig man es bekommt.
Vielen sei auch die Qualität egal, so lange der Preis nur niedrig genug sei: So könne man beispielsweise in Supermärkten etwas für 60 Euro kaufen, das wie eine Gitarre aussieht. Dann könne man sich einbilden, man habe eine “echte Gitarre” erworben.
Die zunehmende Massenproduktion von Musikinstrumenten sei verheerend für deren Qualität, sagt auch Tobias Kempf. Viele Gitarrenbauer müssten im Ausland unter ärmlichsten Bedingungen produzieren:
Ein Koch wird zum Mindestlohn und unter schlechten Arbeitsbedingungen keine Leidenschaft entwickeln und keine Gerichte mit Herz kochen. Bei der Musik ist das genauso: Der Frust macht sich in den Instrumenten bemerkbar.
Es gebe zwar noch einige Kenner, die die Qualität richtiger Instrumente zu schätzen wüssten – doch wären es offenbar nicht mehr genügend, um den Betrieb eines Geschäfts zu finanzieren.
“Viele ließen sich beraten, um woanders zu kaufen”
Sandor Weng macht noch einen anderen Faktor verantwortlich: Undankbarkeit. Er habe viele Kunden über Stunden hinweg intensiv beraten. Mit viel Mühe, mit viel Herzblut. Er sei dabei ehrlich gewesen:
Wenn es eine gleichwertige und günstigere Alternative gab, habe ich nie das teurere Produkt empfohlen.
Viele Kunden hätten seine Beratung gerne in Anspruch genommen, erzählt Sandor – um schließlich woanders zu kaufen, wo es das gleiche Produkt ein paar Prozente billiger gibt. Seine Empfehlungen wären stets kostenfrei für Kunden – aber nicht kostenlos:
Vielen ist gar nicht bewusst, wie viel Zeit das in Anspruch nimmt. Das sind Arbeitsstunden, die mit keinem Cent entlohnt werden, wenn dann über das Internet bestellt wird, weil es dort für ein paar Euro weniger zu haben ist.
Viele Kunden würde gar nicht klar sein, wie viel Schaden sie mit diesem Verhalten anrichten. Doch wenn fachliche Expertise weiterhin so gering geschätzt wird und ein Großteil der Konsumenten nur noch bereit ist, für materiell nicht “begreifbare” Produkte zu bezahlen, dann gehe eben immer mehr fachliche Expertise verloren. Irgendwann werde man es bereuen – und wahrscheinlich so tun, als habe man das nicht absehen können.
Schleichend stirbt ein Stück Kultur – und mit ihm Leidenschaft. Mit klassischem Kunsthandwerk zu überleben, wird zunehmend unmöglich. Eine “City of Music” verliert ihr letztes großes Musikfachgeschäft – andere Städte haben bereits das gleiche Schicksal erlitten oder werden das in naher Zukunft.
Irgendwo werden sich Instrumente immer beschaffen lassen. Vielleicht sogar unverschämt günstig – aber zu welchem Preis?
Wie viele Gitarren in zehn Jahren wohl noch angespielt werden, bevor sie gekauft werden? Wie viele Klavierbaumeister wohl in zwanzig Jahren noch ausgebildet werden? Wie viel Fachwissen über Instrumente in 30 Jahren wohl noch verbreitet ist?
Am Samstag schließt mit dem Ladengeschäft von “Musik Weng” auch die Werkstatt und es wird immer schwieriger werden, jemanden zu finden, der ein Instrument nicht nur verkauft, sondern auch reparieren kann.
Schleichend stirbt ein Stück Kultur.
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