Frankenthal/Rhein-Neckar, 18. Mai 2016. (red/pro) Wie Polizei und Staatsanwaltschaft Frankenthal heute mitteilten, ist ein erst zwei Monate alter Säugling infolge eines schweren Schädelhirntraumas verstorben. Dies ergab die heutige Obduktion der Leiche. Der leibliche Vater soll das Kind in der Nacht von Freitag auf Samstag aus dem Fenster geworfen haben. Neue Informationen zum Fall werfen allerdings Fragen auf.
Mittlerweile sind von der Staatsanwaltschaft Frankenthal Informationen zu den Verletzungen der einzelnen Personen mitgeteilt worden.
Bestätigte Verletzungen
Auf Anfrage bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass die Mutter des Säuglings Messerstichverletzungen im Rückenbereich erlitten hat. Ein sechsjähriges Mädchen, eine Tochter des Tatverdächtigen aus einer früheren Beziehung, wies Messerstichverletzungen im Bauchbereich auf. Ein weiterer 31-jähriger Mann soll ebenfalls Verletzungen durch ein Messer erlitten haben.
Welche Verletzungen der 32-jährige Vater des verstorbenen Säuglings erlitten hat, konnte die Staatsanwaltschaft nicht mitteilen. Sehr wahrscheinlich wurde er beim Zugriff durch die Polizei verletzt – welcher Art ist offen.
Bild zitiert angeblich sichere Quelle
Die Bild-Zeitung berichtete unterdessen, der Vater habe ausgesagt, das Kind nicht aus dem Fenster der im zweiten Stock gelegenen Wohnung geworfen zu haben, sondern es sei ihm im Drogenrausch aus den Armen gerutscht und dadurch zu Tode gestürzt. Die Quelle für diese Information sei “hart”, bestätigt unser Kontakt.
Schlüsselfrage: Wie war die Auffindesituation?
Die nahe liegende Frage zur Auffindesituation konnte die Staatsanwaltschaft Frankenthal auf Anfrage nicht beantworten. Für die Version des Tatverdächtigen – sofern diese wie in Bild zitiert so getätigt worden ist – könnte sprechen, wenn der Säugling nahe der Hauswand aufgefunden worden wäre. Das würde eine solche Version nicht unwahrscheinlich machen. Allerdings würde das auch nicht ausschließen, dass der Mann das Baby einfach hat fallen lassen.
Ist das Kind hingegen mit deutlichem Abstand zur Hauswand aufgefunden worden, wäre die Darstellung des Tatverdächtigen absurd – dann müsste das Kind geworfen worden sein.
Tod durch massives Schädelhirntrauma
Die Obduktion des Säuglings verschaffte zumindest eine Klarheit – der Sturz war ursächlich für massive Schädeldach- und Schädelbasisbrüche, die ein tödliches Schädelhirmtrauma nach sich zogen. Bis zu diesem Ergebnis schlossen die Ermittlungsbehörden routinemäßig eine andere Todesursache zumindest theoretisch nicht aus. Die Todesursache ist nach dem Untersuchungsergebnis der Gerichtsmedizin Mainz unzweifelhaft geklärt.
Was Anlass und Verlauf des Streits zwischen dem 32-jährigen Vater und Tatverdächtigen sowie der 20-jährigen Mutter angeht, gibt es bislang noch keine zuverlässigen Informationen. Ebenfalls unklar ist, warum ein 31-jähriger Bekannter zur Tatzeit gegen 01:35 Uhr in der Nacht von Freitag auf Samstag sich in der gemeinsamen Wohnung der beiden aufhielt.
Auf der Flucht angegriffen?
Die Verletzungsmuster der Frau lassen darauf schließen, dass sie von hinten angegriffen worden ist – also möglicherweise auf der Flucht aus der Wohnung. Tatsächlich hatte sich die Frau schwer blutend auf die Straße vor das Haus gerettet und dort wohl selbst die Polizei alarmiert. Warum ist sie geflohen? Warum hat sie ihren Säugling zurückgelassen? Würden Mütter nicht eher ihr Leben geben, als das ihres Kindes aufs Spiel zu setzen?
Unklarer Ablauf der Ereignisse
Unklar ist, ob sie den Sturz ihres Kindes selbst miterlebt hat. Dieses soll im rückwärtigen Teil des Gebäudes in den Hof gestürzt sein – die Frau hatte die Wohnung im zweiten Stock durch die Eingangstür im vorderen Teil des Mehrfamilienhauses verlassen. Hier waren auch deutliche Blutspuren auf dem Boden und an einem Laternenmast feststellbar. Konnte sie den Sturz der Tochter beobachten? Und wenn ja – kann dass der zweite Mann in der Wohnung bestätigen oder stehen Aussage gegen Aussage? Hier wird ein sehr entscheidendes Detail die Auffindesituation des Opfers sein.
Angebliche Selbsttötungsabsicht
Weiter ist unklar, wann die sechsjährige Tochter des Tatverdächtigen verletzt worden ist. Dies kann vor dem Zugriff der Polizei geschehen sein oder währenddessen möglicherweise unbeabsichtigt – auch dies werden die Ermittlungen zu klären haben. Und zwar in beiden Richtungen – zur Be- oder Entlastung des Tatverdächtigen.
Die Bild-Zeitung spekuliert, ohne den Zugriff hätte der Mann sich und seine zwei Kinder aus einer früheren Beziehung möglicherweise selbst getötet. Hinweise auf eine suizidale Absicht des Mannes gibt es bislang von offizieller Seite nicht und werden auch nicht von der Bild-Zeitung genannt.
Anders als bislang angenommen, handelt es sich bei dem zweiten Kind des Tatverdächtigen aus einer früheren Beziehung ebenfalls um ein Mädchen, vier Jahre alt. Dieses blieb wohl körperlich unverletzt. Auch hier stellen sich Fragen: Jemand, der angeblich einen Säugling aus dem Fenster wirft und angeblich so verzweifelt ist, sich selbst töten zu wollen, laut Bild “Kampfsportler”, ist nicht in der Lage, zwei andere Kinder mit einem Messer zu töten? Ein harter Stich, eine aufgeschlitzte Kehle und die Kinder wären tot gewesen. Warum hat der Mann also angeblich ein Kind kaltblütig ermordet, zwei weitere aber nicht?
Soziale Netzwerke: tatverdächtig=überführt
In den sozialen Netzwerken ist der Tatverdächtige schon eindeutig des “grausamen Mordes” überführt – ohne das jemand der Kommentatoren den tatsächlichen Sachverhalt kennt. Darin unterscheiden sich die Kommentatoren kaum von der Bild-Zeitung. Neben Hunderten Kommentaren des Beileids tauchen immer mehr Hass-Kommentare auf, die sich in Folterfantasien ergehen und nicht wenige fordern die Todesstrafe für den tatverdächtigen Vater.
Die Bild-Zeitung nennt den Tatverdächtigen mittlerweile “Killer-Vater” und will in einem kostenpflichtigen Text erklären, “warum Väter ihre Babys töten”. Tatsächlich werden zwei Drittel bis drei Viertel aller Kindstötungen durch die Mütter begangen, nach wissenschaftlichen Untersuchungen gehen demgegenüber nur 18 Prozent der Kindstötungen auf die Väter zurück. Soweit die Statistik, die der Dramaturgie der Bild-Zeitung widerspricht – konkret heißt das nicht, dass der Tatverdächtige nicht doch mindestens einer fahrlässigen Tötung schuldig ist.
Aussagen sind keine letztgültigen Beweise
Wieder angeblich Bild-Zeitung belastet der “Bekannte” den Vater schwer – das mag so sein, aber seine Aussagen müssen erst auf Plausibilität überprüft werden. Laut Staatsanwaltschaft scheint er als Tatverdächtiger ausgeschlossen zu sein – die Untersuchungen dauern noch an.
Selbst ein Geständnis des Tatverdächtigen, sofern abgegeben, muss auf Plausibilität hin untersucht werden – möglicherweise ist es falsch. Aus welchen Gründen auch immer. Es gibt zahlreiche Beispiele von falschen Geständnissen. In Vernehmungen und vor Gericht wird oft gelogen, dass sich die Balken biegen. Ein Urteil kann nur auf verlässlichen Tatsachenbeweisen gesprochen werden.
Vor einer Anklage stehen die Ermittlungen
Für die hochemotionalisierte Facebook-“Gemeinde” ist alles klar, für die Bild-Zeitung sowieso. Tatsächlich muss die Öffentlichkeit darauf setzen, dass die Ermittlungsbehörden eine einwandfreie Arbeit leisten und gerichtsfest eine Anklage vorbereiten können.
Und sollten alle Untersuchungsergebnisse gegen den Tatverdächtigen sprechen und ihm die Tötung des erst zwei Monate alten, eigenen Kindes nachweisen können, wird zum Schluss die Frage bleiben, wie schuldfähig er ist, wenn er sich tatsächlich laut Bild “im Drogenrausch” befunden haben sollte.
Schockierende Aussagen von Seiten der “Bild”
Die Bild-Zeitung tut so, als hätte sie den Täter zweifelsfrei überführt. Das Boulevard-Blatt kämpft übrigens nie für die Rechte von Menschen, auch, wenn dort gerne so getan wird als ob. Als wir verantwortliche Redakteure dazu befragt haben, ob es sein musste, ein Foto der Mutter zu veröffentlichen, war die Antwort unter Kichern wörtlich:
Wie blöd muss man eigentlich sein? Die Tussi musste damit rechnen, dass sie fotografiert wird, wenn sie zu dieser bescheuerten Facebook-wir-heulen-mal-zusammen-Party gegangen ist. Gehts noch? Die ist doch nicht normal.
Die Bild-Zeitung hat übrigens Fotos des Tatverdächtigen ohne Unkenntlichmachung veröffentlicht, die uns auch vorlagen. Als Quelle nennt die Zeitung “privat/Instagram”, als wäre das eine Erlaubnis, die Fotos zu zeigen. Die Bild-Zeitung klagt an und verletzt gleichzeitig massiv Persönlichkeitsrechte, die auch ein Tatverdächtiger hat und sogar ein verurteilter Straftäter.
Aus dem Nähkästchen…
… weisen wir Sie auf einen Artikel hin, der noch geschrieben wird. Wenn er online ist, werden wir den Text alverlinken. Darin beschreibt Chefredakteur Hardy Prothmann, warum es falsch ist, sich auf jemanden zu verlassen und wieso es mehrere Tausend Euro kosten kann, wenn man das tut. Wenn Sie unseren Journalismus unterstützen wollen, dann machen Sie das. Unsere Arbeit gibt es nicht umsonst, sie kostet. Sie spenden für informativen, hintergründigen Journalismus, der nicht gefallen will, sondern ehrlich ist. Hier geht es zum Förderkreis.